Warum ziehe ich immer den Falschen/die Falsche an?
von Franzi

Wie qualifiziert man sich für den Titel des falschen Partners / der falschen Partnerin?
„Falsch“ bedeutet in dem Fall: „Nicht zu uns passend“. Der andere Mensch ist genau richtig wie er ist, passt aber weder zu unseren Bedürfnissen noch zu unseren Lebenseinstellungen.
Woran liegt es also, dass wir uns in unpassende Beziehungen hinein manövrieren?
Dafür gibt es nicht nur „den einen“ Grund. Eine Vielzahl von erlernten Mustern, Ängsten und Gewohnheiten spielen dabei eine Rolle. Glücklicherweise sind wir auch lernfähig und müssen nicht in gewohnten Mustern verharren. Die folgenden Überlegungen erheben dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Welche Rolle spielen unsere Bindungserfahrungen?
Der Psychoanalytiker und die Psychologin Mary Ainsworth beschäftigen sich mit dem Thema Bindung und Bindungsverhalten. Ihre Theorie erklärt, wie die emotionale Beziehung von Kindern zu ihren Bezugspersonen ihre Entwicklung prägt und sich daraus vier verschiedene Bindungstypen ergeben. (Wer es genauer wissen möchte, findet es hier verständlich erklärt). Im Folgenden arbeite ich mit einer Verallgemeinerung dieser Theorie.
Zu Beginn unserer Entwicklung werden wir geprägt durch die Bindung an unsere Eltern bzw. nahe Bezugspersonen. Wenn wir keine sichere Bindung erlebt haben, unsere Eltern beispielsweise oft abweisend waren, sich viel gestritten haben, widersprüchliche Signale sendeten, oder wir uns Liebe immer über Gehorsam, Anpassung oder Leistung verdienen mussten, so nehmen wir diese Erfahrungen mit in unsere späteren Beziehungen.
Wir haben vielleicht nicht das Vertrauen, dass die andere Person uns so lieben könnte, wie wir sind. Wir verbiegen uns, passen uns übermäßig an, vermeiden Streit, klammern, weil wir Angst haben den Anderen/ die Andere zu verlieren, oder können uns erst gar nicht richtig emotional einlassen, weil wir Angst vor möglichen Verletzungen haben. Das alles kann dafür sorgen, dass wir uns nicht sicher und wohl in unserer Beziehung fühlen und es somit zu mehr Konflikten kommen kann. Indem wir zB ständig mehr Nähe fordern und wütend reagieren, wenn wir diese nicht bekommen. Oder im Gegenteil: Wenn wir auf Distanz gehen, wenn jemand uns zu nahe kommt. Wenn wir eifersüchtig sind und unser Gegenüber mit haltlosen Verdächtigungen überhäufen. Wenn wir uns nicht zeigen, keine Grenzen setzen und gleichzeitig verärgert sind und uns zurückziehen, wenn der / die Andere diese ständig überschreitet.
Somit ist „der Falsche/ die Falsche“ aus uns heraus entstanden - durch unsere Unsicherheiten und Ängste, die wir uns nicht bewusst gemacht haben.Wir haben unser Verständnis von Bindung erlernt und müssen es, während wir in Beziehung sind, immer wieder neu hinterfragen - vor allem dann, wenn immer wieder gleiche Probleme und Konflikte auftauchen. Ein wenig Trost können wir allerdings darin finden, dass uns jede Beziehung, auch wenn sie nicht passend für uns war, eine große Entwicklungschance ermöglicht– nämlich unsere Muster zu erkennen und an ihnen zu wachsen.
Wie prägen uns Muster und Glaubenssätze bei der Partnerwahl?
Manchmal wählen wir unbewusst Partner, die frühere, elterliche Beziehungserfahrungen wiederholen. Dazu ein sehr vereinfachtes, klischeehaftes Beispiel: Wenn der Vater sehr dominant und die Mutter für den Haushalt und Kinder zuständig ist und sich immer den Bedürfnissen der anderen Familienmitglieder unterordnet, so kann es wahrscheinlicher sein, dass sich ein Kind eben diese gleichen Persönlichkeitstypen in einer Partnerschaft sucht. Bezogen auf eine heterosexuelle Beziehung könnte dies bedeuten: Ein Sohn sucht sich dann eher eine Frau, die sich ihm unterordnet und den Haushalt übernimmt, eine Tochter sucht sich eher einen Mann, der dominant ist. Diese Beziehungsmuster kennen wir und sie sind für unser System schon gewohnt. So können wir zum Beispiel unbewusst sehr dominante Partner wählen, obwohl wir selber unsere Wünsche und Bedürfnisse erfüllen wollen und hätten wieder „den Falschen/ die Falsche“.
Wir alle haben einen gewissen Typ Mensch, den wir anziehend finden – nicht nur äußerliche Attribute, sondern vor allem charakterliche Eigenschaften sind oft bei vergangenen Partnern sehr ähnlich.
Um sich dessen bewusst zu werden, kann man sich überlegen, wie die eigenen Eltern ihre Beziehung führten und welche Bindung sie zu uns hatten bzw. wir zu ihnen. Dann legen wir uns unsere Ex-Beziehungen entweder in der Vorstellung, oder auf dem Papier nebeneinander und überlegen, welche grundlegenden Eigenschaften allen gleich sind. Das vor Augen kann man sich fragen: Sind es genau diese Eigenschaften die ich brauche?
Wie beeinflusst uns die sexuelle anziehung bei der Partnerwahl?
Wir geraten möglicherweise zu schnell in eine unpassende Beziehung, wenn wir ebenso schnell vom ersten Kennenlernen in die Sexualität wechseln. Vorausgesetzt, man sucht jemanden für eine Beziehung und nicht nur für rein sexuell motivierte Erlebnisse.Denn wer sich generell nicht binden will, tut dies auch nicht durch Sex.
Wenn wir uns jedoch gegenseitig sowohl menschlich als auch körperlich anziehend finden und mit dem Gegenüber einvernehmlich sexuell aktiv werden, dann löst diese Reihe von hormonellen Ausschüttungen unter anderem von Dopamin, Serotonin und Oxytocin eine größere Tendenz zur Bindung aus.
Hierzu gibt es auch einen schönen Artikel im Spiegel von Christoph Joseph Ahlers- den verlinke ich euch HIER.
Auf die Frage, ab wann man beim Kennenlernen miteinander Sex haben sollte („Wann hat man das erste Mal Sex in der neuen Beziehung“) gibt mir Google 27,7 Millionen Ergebnisse. Das zeigt, wie wichtig dieser Schritt beim Eintritt in eine neue Beziehung zu sein scheint.
Wenn wir die Verliebtheit eines zu schnellen Kennenlernens mit ins Bett nehmen, kann daraus eine Beziehung entstehen, die anfänglich geprägt ist von sexueller Anziehung und Lust und am Ende nur von menschlicher Enttäuschung. Eigenschaften, die nicht stimmig sind, werden eventuell eher übergangen oder übersehen, weil der Sex so gut zu sein scheint und alles überdeckt. Spoiler: Sex ist anfangs immer irgendwie „gut“ und „aufregend erregend“ und man übersieht immer Dinge, die am anderen Menschen „unpassend“ sind – Stichwort „rosarote Brille“ - aber wenn wir uns wenig kennen, tritt dieser Effekt stärker auf. Es gibt sicherlich keine genaue Zeitangabe, wie lange man warten sollte. Das ist eher ein individuelles Gefühl, wie gut man jemanden zu kennen glaubt. Jedoch hilft ein intensiveres Kennenlernen vor dem Sex, sich wieder etwas zu erden und nicht im Rausch der Hormone und Lust alles zu vergessen.
Habe ich angst vor dem alleinsein?
Die Angst vor dem Alleinsein kann ein weiterer Grund dafür sein, warum wir in unserer Partnerwahl nicht ganz genau hinschauen, ob der- oder diejenige wirklich zu uns passt. Wir sehen über manches hinweg, was augenscheinlich nicht zu unseren Vorstellungen von Beziehung und allgemeiner Lebensführung passt – getreu dem Motto: „Besser als nichts.“
Vielleicht kommen wir gerade aus einer Beziehung und wollen uns den starken Gefühlen wie Trauer, Wut, Enttäuschung nicht stellen und und haben Angst, diese Gefühle spüren und aushalten zu müssen. Wir sind zudem in unserem Ego, in unserem Selbstwert verletzt.
So werden wir schnell von überschwänglicher Anerkennung und Bestätigung eingenommen, die eine neue Beziehung mit sich bringt. Wir fühlen uns wieder wohl und im Selbstwert gestärkt. Diese Stärkung kommt jedoch von außen – sobald diese im Laufe der Beziehung wieder nachlässt, stehen wir vor den selben Problemen, wie am Ende der letzten Beziehung. Die eigene Heilung ist kein äußerer, sondern ein innerer Prozess und braucht Zeit. Wir brauchen Zeit und Mut, um diese Gefühle zuzulassen und uns mit unseren auftauchenden Themen ehrlich auseinander zu setzen.
Mangelbeseitigung versus Bereicherung
Meist suchen wir nach einer langen Beziehung das genaue Gegenteil des letzten Partners. Bedürfnisse, deren Erfüllung wir vorher vermissten, oder auf die wir verzichtet haben, sind nun sehr präsent und laut in uns und streben nach Erfüllung.
Wenn wir einen sehr emotionalen Partner hatten, mit dem es sowohl viel Nähe und Wärme, als auch auch intensive Streitigkeiten und jede Menge Drama gab, dann suchen wir danach eher einen Partner, der uns emotionale Ruhe gibt. Dieser kann uns aber im Endeffekt zu kühl und distanziert erscheinen und somit für uns unpassend sein.
Wir laufen Gefahr von einem Extrem in das andere zu kippen und wieder unglücklich gebunden zu sein. Denn auch hier gilt es, eine ausgewogene Balance zu finden. Der Wunsch, sich gegenseitig zu bereichern, anstatt nur nach der Beseitigung eines Mangels hinterher zu jagen, ist ein guter Weg, diese Balance zu finden.
FAQ: Wie finde ich nun den Richtigen / Die Richtige?
Die eigene Lösung dieses Rätsels ist so einfach wie schwer zugleich:
Wir dürfen lernen, uns ehrlich zu hinterfragen und selbst zu reflektieren, welche eigenen Anteile Themen und Verhaltensweisen dazu beigetragen haben, dass wir in Beziehungen gehen und warum sie geendet haben. Nur so können wir einen Kreislauf aus ungesunden Partnerschaften unterbrechen.
Denn nur, wenn wir die „Schuld“ für das Ende einer Beziehung nicht ausschließlich im „Falschen Anderen“ suchen, oder im Gegenteil, gänzlich nur in uns selbst, können wir unsere Muster erkennen und verändern.
Kommentar schreiben
https://paarberatung-kraemer.de (Dienstag, 28 Mai 2024 12:18)
Danke für diesen ausführlichen Betrag über dieses sehr wichtige Thema